Leseprobe „Ein Gockel bleibt doch nicht allein!“

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1. Akt/1. Szene

Wohnzimmer. Gegenwart.

Gottfried sitzt gelassen am Tisch und liest Zeitung, während Claudia aufgebracht hin und her läuft.

Claudia

Ich fasse es nicht.

Gottfried

Was?

Claudia

Das, was du mir erzählt hast. Das war ein Scherz. Oder?

Gottfried

Nein.

Claudia (Claudia sieht Gottfried prüfend an.)

Das darf nicht wahr sein! (Claudia geht zum Schrank / zur Bar und gießt sich einen Schnaps ein.) Willst du auch einen?

Gottfried

Ja. Einen dreifachen.

Claudia reicht Gottfried ein Wasserglas.

Claudia

Wie lange waren deine Eltern verheiratet?

Gottfried

51 Jahre.

Claudia

51 Jahre. Mehr als ein halbes Jahrhundert. Nach dieser langen Zeit zieht deine Mutter jetzt einen Schlussstrich? Einfach so?

Gottfried

Mama hat ganz sicher ihre Gründe für diese Entscheidung. Tatsache ist, dass Papa jetzt unsere Hilfe braucht.

Claudia

Und wie

 stellst du dir diese Hilfe vor?

Gottfried

Mama hat sich all die Jahre immer um alles gekümmert. Kochen, Wäsche, Papierkram und all dieses Zeug. Ich glaube nicht, dass Papa das alles von heute auf morgen allein bewerkstelligen kann. (Gottfried hält Claudia sein Glas hin.) Gib mir noch einen! Ich meine, mein Vater hat in seinem ganzen Leben noch nie etwas gekocht. Der kann ja nicht einmal eine Tiefkühlpizza im Ofen aufbacken, weil er vergisst, die Folie abzumachen.

Claudia

War die Rechnung von der Feuerwehr eigentlich sehr hoch?

Gottfried

Hat die Versicherung übernommen.

Claudia

Gut. Und was das Kochtalent deines Vaters angeht, so kann ich dir versichern, dass du es zu hundert Prozent von ihm geerbt hast und ihn sogar noch übertriffst.

Gottfried

Wie meinst du das?

Claudia

Du lässt sogar Wasser anbrennen.

Gottfried

Haha! Sehr witzig! Was soll ich Papa raten?

Claudia

Dass er in ein Hotel ziehen soll, bis er eine Wohnung gefunden hat. Die meisten Hotels haben ein Restaurant und oft auch einen Wäscheservice, so dass er sich auch weiterhin um nichts kümmern muss.

Gottfried

Hältst du das wirklich für eine gute Lösung? Mein Vater ist ein sehr kommunikativer Mensch, der im Hotel unter alle den Fremden sicher sehr einsam wäre. Wie wäre es, wenn er…

Claudia (Claudia reagiert unerwartet heftig und fällt Gottfried ins Wort.)

Nein! Das kommt nicht in Frage! Wie wäre es, wenn dein Vater statt in ein Hotel in ein Seniorenheim zieht? Dort ist er nicht allein.

Gottfried

Ist er dafür nicht noch ein bisschen zu jung?

Claudia

Dein Vater ist keine fünfzig mehr. Bei unserem letzten Besuch hat er eine Stunde lang ohne Punkt und Komma erzählt, was ihm alles wehtut. Er wäre schneller fertig gewesen, hätte er aufgezählt, was ihm NICHT wehtut. (Kleine Pause.) Hoffentlich wirst du nicht eines Tages so.

Gottfried

Papa ist nicht krank. Er hat mir verraten, dass er es genießt, von einer Frau umsorgt zu werden. Mama ist leider nicht der Typ, der das einfach so macht. Bei ihr muss man schon richtig krank sein.

Claudia

Ja, so habe ich sie auch immer eingeschätzt. Distanziert, kühl, emotionslos. Wenn sie Weihnachten oder an deinen Geburtstagen bei uns war, hat sie nie etwas Positives gesagt.

Gottfried

Zurück zu Papa und deiner Idee mit dem Seniorenheim. Vielleicht in zehn Jahren. Aber solange Papa fit ist, kommt das für ihn ganz sicher nicht in Frage. Vielleicht sollten wir doch…

Claudia

Nein! Auf keinen Fall!

Beide überlegen.

Claudia

Manche Senioren verbringen ihren Lebensabend auf dem Wasser.

Gottfried sieht seine Frau verständnislos an.

Claudia

Kreuzfahrten! Kreuzfahrten sind besonders bei den älteren Herrschaften total angesagt. So eine Weltreise dauert Monate. Auf dem Schiff hätte dein Vater alles, was er braucht.

Gottfried

Die Idee ist nicht schlecht. Aber Papa hält nicht viel von Veränderungen. Es wird ihm ganz sicher nicht gefallen, alle paar Tage in einem neuen Land aufzuwachen.

Claudia

Mir gehen die Ideen aus.

Gottfried

Mir auch. Bleibt wirklich nur diese eine Lösung.

Claudia

Meinetwegen, wenn auch äußerst ungern. Und du allein trägst alle Konsequenzen.

Gottfried

Ja. Aber ich bin sicher, dass es klappen wird.

Gottfried geht zur Tür.

Gottfried

Papa! Du kannst jetzt reinkommen!

1. Akt / 2. Szene

Auftritt Friedemann. Er trägt eine kleine Reisetasche, während Gottfried einen Koffer schleppt.

Friedemann (zu Gottfried)

Ich dachte schon, du kriegst sie gar nicht herum! (zu Claudia) Claudia! Meine liebe Schwiegertochter! Gut siehst du aus!

Claudia

Guten Tag, Friedemann!

Gottfried

Ich sehe nach, ob die Einliegerwohnung in Ordnung ist.

Abgang Gottfried.

Friedemann

Ich bin ja so froh, dass ich bei euch wohnen darf. Wie wäre es zur Feier des Tages mit einem kleinen Schnäpschen?

Claudia

Ich höre wohl nicht richtig! Schnäpschen! Um diese Uhrzeit!

Friedemann

War ja nur so eine Idee.

Claudia

Aber eine wirklich dumme! Und damit du nicht auf noch mehr solcher Ideen kommst, sollten wir von Anfang an einige Dinge klarstellen.

Friedemann

Ja, das finde ich auch. Schließlich bereichere ich ja euren Alltag, der manchmal etwas langweilig ist. Hat Gottfried mir erzählt.

Claudia

Dieser Idiot! Aber gut, es ist, wie es ist. Also Friedemann, wenn du bei uns in der Einliegerwohnung wohnen willst, musst du dich an ein paar Regeln halten, die das Zusammenleben für uns alle hoffentlich erträglich machen. Erstens: Keine Damenbesuche!

Friedemann

Ist das hier ein Kloster oder was?

Claudia

Zweitens: Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt.

Friedemann

Darf ich mir einen Hund anschaffen?

Claudia

Einen Hund? Warum willst du einen Hund?

Friedemann

Damit ich ihn das Essen probieren lassen kann, bevor ich es selbst esse.

Claudia

Wage es nicht, so ein verlaustes, stinkendes Fellbündel anzuschleppen! Und weil wir gerade bei stinkend sind: Du bringst täglich den Müll raus!

Friedemann

Dann pass bloß gut auf, dass du nicht gerade neben der Abfalltonne stehst!

Claudia (tut, als habe sie diese Bemerkung nicht gehört)

Wie du sicher weißt, leben wir sehr gesund.

Friedemann

Soll ich das wirklich meinem zukünftigen Hund zumuten?

Claudia

Industriezucker, künstliche Aromen oder Geschmacksverstärker wirst du hier nicht finden. Wenn du etwas Ungesundes wie Schokolade willst, musst du es dir selbst kaufen.

Friedemann

Schokolade ist nicht ungesund! Es ist sogar wissenschaftlich erwiesen, dass ein Stück Schokolade ab und zu glücklich macht. Solltest du mal ausprobieren.

Claudia

Mach dich ruhig lustig über mich. Dir wird das Lachen schon noch vergehen.

Friedemann

Kann nicht mehr lange dauern.

Claudia

Du weißt, dass das hier ein Nichtraucherhaushalt ist. Zigaretten sind verboten.

Friedemann

Och, da kann ich dich beruhigen, liebe Schwiegertochter. Ich mache mir nichts aus Zigaretten.

Claudia

Gut. Ach ja, noch eins zum Schluss: Du darfst samstags duschen.

Friedemann

Jeden Samstag?

Claudia

Ja.

Friedemann

Das ist ja wie früher. Samstags ist Badetag. (Friedemann wird sentimental und schwelgt in Erinnerungen.) Weißt du, Claudia, meine Mutter hat uns Kinder samstags immer in einer großen Zinkwanne geschrubbt.

Claudia

Friedemann, ich habe kein Interesse an deinen alten Geschichten. Dich hier wohnen zu lassen bedeutet nicht automatisch, davon begeistert zu sein.

1. Akt / 3. Szene

Auftritt Gottfried.

Gottfried

Na, habt ihr euch gut unterhalten?

Friedemann

Wunderbar. Es ist immer wieder beeindruckend, was man über einen Menschen erfährt, wenn man mit ihm allein ist. Ich habe geglaubt, deine Frau zu kennen, aber ich habe heute völlig neue Seiten an ihr entdeckt.

Gottfried

Das freut mich. Die Einliegerwohnung ist soweit fertig, dass du einziehen kannst. Natürlich darfst du sie ganz nach deinem Geschmack einrichten. Ich muss ins Büro. Die Entwürfe für die neue Brücke müssen morgen eingereicht werden, und ich möchte mich vergewissern, ob alles richtig ist.

Claudia

Ich muss auch arbeiten.

Friedemann

Lasst euch von mir nicht aufhalten, Kinder. Ich gehe meine Sachen auspacken.

Abgang Friedemann mit Gepäck.

Claudia (Claudia ist wütend.)

Wir beide sind noch nicht fertig!

Gottfried

Bis später.

Abgang Gottfried.

Claudia holt einen Laptop und setzt sich an den Tisch. Daneben stellt sie eine Flasche Wasser und einen Kaffeebecher. Sie setzt ihr Headset auf und telefoniert.

Claudia

Versandhaus Equito and more, guten Tag. Sie sprechen mit Frau Gockel-Hämmerling. Ihre Bestellung bitte. – – – Ja, das Modell ist in Ihrer Größe verfügbar. In schwarz und rot.  – – – Sehr gern. Ihre Kundennummer? – – – Die Ware verlässt heute noch unser Lager. Vielen Dank für Ihre Bestellung und einen schönen Tag. (Claudia beendet das Gespräch.) Größe 58 in Rot! Zum Glück muss ich das nicht sehen.

Telefonklingeln.

Claudia

Versandhaus Equito and more, guten Tag. Sie sprechen mit Frau Gockel. Ihre Bestellung bitte.

1. Akt / 4. Szene

Auftritt Friedemann. Seine Haare sind mit Spinnweben und Staub bedeckt. Als er Claudia sieht, schleicht er auf Zehenspitzen zu einem Stuhl in der Ecke. Von Claudia zunächst unbemerkt, beobachtet er sie bei der Arbeit.

Claudia

Das ist bedauerlich. Soll ich Sie an unsere Reklamations… – – – Nein? Natürlich verstehe ich Ihre Verärgerung. Aber Leder ist ein Naturmaterial und kann sich verändern. Auch bei Stiefeln für diesen speziellen Einsatz. – – – Ich kann Ihnen anbieten, dass Sie die Stiefel zurückschicken und wir Ihnen Ersatz liefern. – – – Darf ich um Ihre Kundennummer bitten? – – – Die Ersatzlieferung ist unterwegs. – – – Einen schönen Tag noch.

Claudia trinkt einen Schluck Kaffee.

Telefonklingeln.

Claudia

Versandhaus Equito and more, guten Tag. Sie sprechen mit… – – – Ah, mein Stammkunde. Wie geht es Ihnen, Herr Freyer? Haben Ihrer Frau die Sachen gefallen? – – Ja, das Leder schmiegt sich wirklich an wie eine zweite Haut. Was darf es heute sein? – – – Ich verstehe. Sie wollen alle Damen damit ausstatten? – – – Sehr biegsam, sehr griffig. Ein leichter Klaps mit dieser Peitsche reicht wirklich aus und hinterlässt keinerlei Spuren. – – – Zwölf Stück? – – – In Ordnung. Die Ware ist schon auf dem Weg zu Ihnen. (Claudia streift ihr Headset ab.) Spinner! (Claudia sieht Friedemann und erschrickt.) Friedemann! Wie kannst du mich nur so erschrecken? Wie lange sitzt du denn schon hier? Und wie siehst du überhaupt aus?

Friedemann

Die Einliegerwohnung ist ja wohl eher eine Abstellkammer.

Claudia

Gottfried hat gesagt, dass du sie ganz nach deinem Geschmack einrichten darfst.

Friedemann

Vor dem Einrichten muss sie aber erst einmal renoviert werden. Vielleicht muss da ein Architekt ran, der sein Handwerk versteht. Mein Sohn ist ja offenbar zu blöd dazu.

Claudia

Dein Sohn hat Wichtigeres zu tun! Schließlich muss er zuerst das erledigen, wofür er bezahlt wird.

Friedemann

Apropos Bezahlung. Es ist mir noch nicht ganz klar, ob du Geld dafür bekommst, dass du den ganzen Tag lang zu Hause vor dem Computer herumhockst.

Claudia

Ich hocke nicht herum! Das nennt sich Homeoffice. Ich mache hier meine Arbeit mit dem Unterschied, dass ich nicht ins Büro fahren muss.

Friedemann

Sei doch nicht gleich so grantig! Ich habe nur gefragt.

Claudia

Anstatt mir dumme Fragen zu stellen, solltest du lieber duschen. Du versaust mir ja die ganzen Möbel.

Friedemann

Heute ist Mittwoch.

Claudia

Ich weiß, welcher Wochentag heute ist.

Friedemann

Ich darf nur samstags duschen. Hast du gesagt!

Claudia

Mach eine Ausnahme.

Friedemann

Wie du willst.

Abgang Friedemann ins Bad.

Claudia (Claudia nimmt ihr Handy, telefoniert.)

Du glaubst nicht, was heute passiert ist. Friedemann ist bei uns eingezogen. – – – Ja, genau. DER Friedemann, der vor über vierzig Jahren an der Erzeugung meines Göttergatten beteiligt war. – – – Ja. In der Einliegerwohnung. – – Du übertreibst. Fast jede Einliegerwohnung ist im Keller. – – – Nein, garantiert nicht für immer. Ich besorge Schwiegerpapa ganz schnell eine eigene kleine Wohnung. Und wenn es im australischen Busch ist. – – – Dann muss er eben lernen, allein zurechtzukommen. (Claudia lauscht.) Ich muss Schluss machen. Bis später.

1. Akt/5. Szene

Auftritt Friedemann, geduscht und umgezogen. Er setzt sich auf seinen Platz und sieht Claudia durchdringend an. Der wird es unter seinem Blick immer unbehaglicher.

Claudia

Was ist?

Friedemann

Nichts.

Claudia

Ich gehe einkaufen.

Friedemann

Bist du denn schon fertig mit deiner Arbeit?

Claudia

Ja. Ich habe meinen Tagesumsatz geschafft. (Claudia zieht ihre Jacke an.) Während ich weg bin, wird hier nichts angefasst! Hast du das verstanden?

Friedemann

Ja. Ich bin doch nicht blöd.

Claudia

Nein. Aber manchmal etwas vergesslich.

Abgang Claudia.

Friedemann langweilt sich. Er steht auf und sieht sich zögernd, mit den Händen auf dem Rücken, um. Allmählich wird er „mutiger“, nimmt verschiedene Gegenstände in die Hand und betrachtet sie genauer. Er setzt sich an Claudias Arbeitsplatz und setzt das Headset auf.

Friedemann

Meine Damen und Herren, verehrte Fluggäste, ich begrüße Sie auf unserem Transatlantikflug nach New York. Mein Name ist Flugkapitän Friedemann Gockel. Meine Crew und ich sind in den nächsten Stunden für Sie da und wünschen Ihnen einen angenehmen Flug. Bitte bringen Sie jetzt Ihre Rückenlehnen in eine aufrechte Position und schnallen Sie sich an. Wir starten in wenigen Augenblicken.

Friedemann greift nach der Wasserflasche auf dem Tisch, klemmt sie zwischen seine Beine und zieht sie zu sich wie den Schalthebel eines Flugzeugs. Dabei ahmt er die Geräusche einer startenden Maschine nach.

Friedemann

Bling! Meine Damen und Herren, wir haben unsere Flughöhe von zehntausend Metern erreicht. Sie können die Sicherheitsgurte jetzt öffnen. Der Wetterbericht verspricht einen ruhigen Flug ohne Turbulenzen.

Türklingel.

Friedemann erschrickt. Hastig springt er auf und verheddert sich dabei im Kabel des Headsets.

Türklingel.

Friedemann

Ich komme!

Endlich hat er sich befreit und eilt zur Tür.

1. Akt / 6. Szene

Auftritt Erwin Hopfenblütler.

Friedemann

Das ist ja eine schöne Überraschung.

Erwin

Ich muss mich doch vergewissern, ob es meinem besten Freund gut geht. Deine Nachricht hat mich wirklich ziemlich schwer getroffen.

Friedemann (Friedemann steht kurz vor einem Tränenausbruch.)

Na, und mich erst! Aber jetzt komm doch erst einmal rein.

Erwin (Erwin sieht sich um.)

Ganz nett haben sich deine Kinder eingerichtet.

Friedemann

Ja, Geld spielt hier nicht unbedingt eine Rolle.

Erwin

Jetzt erzähl, welcher Teufel deine Frau geritten hat, dass sie dich nach einem halben Jahrhundert verlässt.

Friedemann

Woher weißt du das?

Erwin

Von dir. Sag mal, ist bei dir alles in Ordnung? (Erwin tippt sich an die Stirn.) Du selbst hast mir erzählt, dass deine Frau dich rausgeworfen hat.

Friedemann

Ich weiß, dass ich dir das erzählt habe. Aber ich habe dir garantiert nicht gesagt, welcher Teufel meine Frau geritten hat.

Erwin

Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.

Friedemann

Robert Täuffel – Täuffel mit ä und zwei eff – hat meine Frau geritten.

Erwin

Der Robert Täuffel, sieh mal an. Und ich Idiot dachte immer, dieses vom Teufel geritten sei nur ein Sprichwort. Wie hast du denn von der ganzen Sache erfahren? Hat sie es dir erzählt?

Friedemann

Die brauchte mir nichts zu erzählen, weil ich sie beim Knutschen erwischt habe. Wie Teenager! Dass die sich nicht schämen! Aber als ich sie zur Rede gestellt habe, hat sie mich rausgeschmissen.

Erwin

Nach über fünfzig Jahren. Es mag zwar im Moment hart für dich sein, aber eine Frau, die einen prima Mann wie dich nicht zu schätzen weiß, die hat dich auch nicht verdient.

Friedemann (Friedemann wischt sich gerührt eine Träne ab.)

Das hast du sehr schön gesagt. So richtig zum Herzen gehend.

Erwin

Nur Männerfreundschaft ist wahre Freundschaft. (Erwin klatscht betont fröhlich in die Hände, um die sentimentale Stimmung zu vertreiben.) Jetzt wollen wir aber mal sehen, wie wir dich auf andere Gedanken bringen können. (Erwin zeigt auf den Laptop.) Ist das deiner?

Friedemann

Nein. Der gehört Claudia.

Erwin

Ach ja, die Claudia. Wo steckt denn deine Schwiegertochter?

Friedemann

Einkaufen.

Erwin

Was ja bekanntlich immer sehr lange dauert. Was hältst du in dieser Zeit von einem kleinen Besuch im Online-Casino?

Friedemann

Einem was?

Erwin

Einem Online-Casino. Weißt du etwa nicht, was das ist?

Friedemann

Natürlich weiß ich, was ein Casino ist. Aber online? Mit dem ganzen neumodischen Kram kenne ich mich überhaupt nicht aus.

Erwin

Wir brauchen dafür nur einen Computer.

Friedemann

Claudia hat gesagt, ich darf hier nichts anfassen.

Erwin

Hm. Sie hat gesagt, dass DU nichts anfassen darfst.

Friedemann

Ja?

Erwin

Du bist nicht ich.

Friedemann

Oh! Du meinst…

Erwin

Ja. Claudia wird gar nicht merken, dass jemand an ihrem Laptop war.

Friedemann

Sicher?

Erwin

Ganz sicher. (Erwin legt sich theatralisch die Hand auf die Brust.) Habe ich dich jemals belogen?

Friedemann

Also damals in der Schule, als wir unserem Lehrer den Frosch…

Erwin (Erwin fällt Friedemann ins Wort und lenkt ihn ab.) Praktisch. Der Computer ist an. Dann brauche ich nicht einmal Claudias Passwort zu knacken.

Friedemann

Das kannst du auch? Aber das ist doch kriminell.

Erwin

Ich habe eben gesagt, dass ich es in diesem Fall nicht knacken muss. Also ist es auch nicht kriminell.

Friedemann

Du hast recht. Und wie läuft diese ganze Sache jetzt ab?

Erwin

Ich logge mich auf die Seite von Klick zum Glück ein, und dann können wir spielen. Letzte Woche habe ich beim Roulette zwanzig Mäuse gewonnen.

Friedemann

Und wie viel hast du verspielt?

Erwin (kleinlaut)

Hundertzwanzig. (Erwin hat schon wieder Oberwasser.) Pech kannst du auch an einem echten Spieltisch haben.

Friedemann

Stimmt. Kann man in diesem Online-Dings auch pokern?

Erwin

Natürlich. Poker? Du? Das überrascht mich.

Friedemann

Jeder Mann, der früher gern Cowboy gespielt hat, pokert auch. Ich wollte immer so sein wie die wirklich harten Typen im Saloon.

Erwin

Na, dann wollen wir deinen Kindheitstraum mal wahr werden lassen.

Beide setzen sich vor den Laptop und starren auf den Bildschirm.

Erwin

Zwanzig Euro.

Friedemann

Ich gehe mit.

Erwin

Eine Karte?

Friedemann

Eine.

Erwin

Hosen runter!

Friedemann

Mist!

Erwin

Noch ein Spiel?

Friedemann

Ja. Ich muss doch meinen Verlust… (Friedemann lauscht in Richtung Tür.) Ich glaube, Claudia kommt. Mach das weg!

Erwin tippt hastig auf der Tastatur herum.

Friedemann

Mach schon!

Erwin

Es geht nicht!

Friedemann

Was geht nicht?

Erwin

Das Programm lässt sich nicht schließen.

1. Akt / 7. Szene

Auftritt Claudia.

Hastig stellen sich Friedemann und Erwin so auf, dass Claudia ihren Laptop nicht sehen kann.

Friedemann

Einen wunderschönen guten Tag, liebe Claudia.

Erwin

Auch von mir einen wunderschönen guten Tag. Sie müssen Claudia sein, Friedemanns reizende…

Friedemann (halblauter Einwurf)

Und ob die mich reizt!

Erwin (weiter)

Schwiegertochter sein. Friedemann hat mir schon so einiges über Sie erzählt.

Claudia

Über Sie hat er mir nichts erzählt. Wer sind Sie?

Erwin

Erwin Hopfenblütler. Ich bin Friedemanns bester Freund seit Jahrzehnten.

Claudia

Schön. Was machen Sie hier?

Erwin

Ich besuche meinen Freund.

Friedemann

Seinen BESTEN Freund!

Erwin

Ich besuche meinen BESTEN Freund, um ihm in seiner schweren Lebensphase beizustehen. Seine Alte… Ich denke, das Richtige zur Aufmunterung für unseren Erwin wäre etwas, bei dem er wieder unter Leute kommt.

Claudia

Er kann ja zum Fußball gehen.

Erwin

Fußball! Nein, ich denke da eher an etwas Exklusives. Eine Kreuzfahrt beispielsweise.

Friedemann

Was bitte soll denn an einer Kreuzfahrt exklusiv sein? Plärrende Kinder, Klugscheißer aller Altersgruppen und geblümte Leggings ab Größe 60, die dreimal ans Büffet gehen.

Erwin

Doch nicht so eine Kreuzfahrt. Ich habe da neulich Werbung gesehen. Nur fünfzehn Personen im reifen Alter auf einer kleinen Jacht.

Friedemann

Das hört sich nicht schlecht an.

Erwin

Wenn du willst, können wir ja später ins Reisebüro gehen und uns informieren.

Claudia

Ja, das ist eine gute Idee. (Claudia zieht eine Jacke an.)

Friedemann

Du gehst schon wieder? Du bist doch eben erst gekommen.

Claudia

Friedemann! Das hier ist mein Haus, und ich komme und gehe, wann ich will! Zum Beispiel jetzt ins Kino.

Friedemann

Vergiss deine Brille nicht. Du hast immerhin auch schon eine Vier vor dem Alter.

Claudia

Keine Angst, Friedemann! Mir entgeht nichts.

Abgang Claudia.

Erwin

Meine Fresse! Die hat ja mehr Haare auf den Zähnen als ich auf dem Kopf.

Friedemann

Und wenn schon. Wir werden uns doch den Nachmittag nicht verderben lassen. Ich bin gleich zurück.

Abgang Friedemann.

Erwin tippt auf dem Computer herum, dabei etwas Unverständliches vor sich hinmurmelnd. Resigniert klappt er das Gerät zu.

Erwin

Claudia muss erst einmal beweisen, dass einer von uns das war.

1. Akt / 8. Szene

Auftritt Friedemann.

Er bringt eine Kognakflasche und zwei Kognakschwenker und stellt alles auf den Tisch.

Friedemann

Ich glaube, mein Sohn darf nicht wissen, was für leckere Sachen er hat. Der edle Tropfen stand im Vorratsschrank ganz oben und ganz hinten hinter den Biosäften.

Erwin

Da steckt doch bestimmt auch diese Claudia dahinter.

Friedemann

Natürlich. Wer denn sonst?

Friedemann schenkt ein und reicht Erwin ein Glas.

Friedemann

Zum Wohl!

Erwin

Prostata!

Erwin holt aus der Hemdtasche zwei Zigarren.

Friedemann

Ich darf im Haus keine Zigaretten rauchen.

Erwin

Sind das Zigaretten?

Beide machen es sich gemütlich.

Erwin

Du hast mir erzählt, dass deine Schwiegertochter arbeitet. Ich dachte immer, dein Sohn ist als Architekt erfolgreich und verdient massenhaft Kohle?

Friedemann

Tut er auch. Claudia arbeitet angeblich nur, weil sie sich sonst zu Tode langweilen würde. Aber was genau sie arbeitet, kann ich dir nicht sagen. Ich habe sie vorhin beobachtet, und ich muss sagen, das Ganze kam mir sehr suspekt vor. (Friedemann macht eine Pause und starrt Erwin eindringlich an.) Sehr suspekt.

Erwin

Mach es doch nicht so geheimnisvoll.

Friedemann (Friedemann sieht sich um, ob er nicht belauscht wird.)

Claudia verkauft Lederstiefel und Peitschen.

Erwin

Was? Du meinst, deine Schwiegertochter verkauft (kurzes Zögern) Lederstiefel und Peitschen?

Friedmann

Ja.

Erwin

Das hätte ich von Claudia nicht gedacht. Sie wirkt so unschuldig, so – fast schon naiv. Aber da hast du es wieder: Stille Wasser sind tief. Bist du dir ganz sicher? Vielleicht verwechselst du etwas.

Friedemann

Hältst du mich wirklich für so blöd? Ich habe doch genau gehört, wie sie sich am Telefon gemeldet hat (ahmt Carola mit Frauenstimme nach) Versandhaus Equito and more. Was kann ich für Sie tun? Equito ist übrigens lateinisch.

Erwin

Ein Deckname?

Friedemann

Was denn sonst? Ich habe natürlich übersetzt, was das auf Deutsch heißt.

Erwin

Und? Was heißt es?

Friedemann

Reiten.

Erwin

Reiten? Eindeutiger geht es nun wirklich nicht. Weiß dein Sohn eigentlich, was seine Frau so treibt, wenn er niLcht zu Hause ist?

Friedemann

Ich glaube nicht.

Erwin

Dann musst du es ihm sagen. Gottfried muss die Wahrheit erfahren.

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